“Ich versuche mein eigenes Ding zu drehen”
Pfaffenhofen (PK) Seine Wortakrobatik ist berühmt, seine Monologe sind berüchtigt, seine Mimik und Lust an der Darstellung legendär. Die Rede ist von Stachelbär Michael Eberle.
Am Samstag feiert der bekannte Pfaffenhofener Kabarettist auf der intakt Musikbühne Heimspiel-Premiere mit seinem neuen Solo-Programm „Venusfalle“: Kabarett zum Mitdenken, Nachdenken – und natürlich zum Lachen; wie immer philosophisch, politisch und gesellschaftskritisch. PK-Mitarbeiter Christian Köpf hat den Charakterkopf getroffen und mit ihm über die große Welt und kleine Alltagsgeschichten gesprochen. Herr Eberle, ein Mittfünfziger gibt seinem neuen Kabarettprogramm den doppelbödigen Titel „Venusfalle“. Muss man da eine Abrechnung mit der Weiblichkeit befürchten?
Michael Eberle: Nein, überhaupt nicht! Der Titel ist entstanden, weil jemand zu mir gesagt hat, mit so Titeln wie „Der Preis der Freiheit“ lockst Du keinen alten Hund mehr hervor. Überleg’ Dir mal einen Titel, der zweideutig ist. Und dann hab ich mir gedacht, „Venusfalle“ passt gut zu dem Thema, das ich mir vorgenommen habe.
Und das wäre?
Eberle: Dass sich der Mensch oft quasi wie ein Insekt von der Venusfliegenfalle anlocken lässt und dann gefressen wird. Dass der Mensch also erst immer irgendwelchen Dingen nachläuft und sich dann von ihnen fangen lässt.
„Du bist, was die anderen in Dich hineingedacht haben“, resümiert in Ihrem neuen Programm eine Freundin, mit der Sie in Streit geraten sind über den „freien Willen“. Wie frei ist Ihr freier Wille?
Eberle: Ich nehme es mir heraus, immer so frei zu denken wie ich gerade will und versuche, nicht irgendwelchen Moden hinterher zu rennen, sondern mein eigenes Ding zu drehen.
Was sind heutzutage jene Instanzen der Unfreiheit, die uns subtil unterdrücken?
Eberle: Die Sachen, die uns Freiheit suggerieren, diese ganze Eventkultur, die „Musts“, die man meint haben zu müssen, die uns letzten Endes nur in irgendeine Abhängigkeit drängen. Die will ich durchleuchten und auf der Bühne darstellen.
Da wir weltgeschichtlich gesehen, so zu lesen im Info zur „Venusfalle“, nur einen Wimpernschlag auf Erden weilen, könnten wir es eigentlich gelassener angehen. Nehmen wir uns zu wichtig?
Eberle: Natürlich. Wenn ich sehe, wie wir Skandale und Skandälchen in der Presse hochjagen, die uns am nächsten Tag schon nicht mehr interessieren, wie Menschen aus reiner Sensationsgeilheit an den Pranger gestellt werden aufgrund persönlicher Verfehlungen, die jeder von uns mal macht, frag ich mich schon, warum wir das immer so hochhängen müssen. Wir leben vielleicht in der besten Welt, die es jemals gegeben hat und reden uns alles, auch unsere Demokratie, permanent schlecht.
Was regt den Eberle aktuell sonst noch so auf?
Eberle: Was mich immer schon aufgeregt hat und mein ganzes Leben begleitet, sind so Themen wie Ungerechtigkeit, wenn jemand respektlos mit anderen Menschen umgeht. Und auch wenn „Politiker-Bashing“ per se nicht unbedingt Teil meines Kabaretts ist, macht mich zum Beispiel der Umgang mit Flüchtlingen in Bayern wahnsinnig wütend. Durch eine CSU-Regierung, die das Christliche und das Soziale eigentlich im Namen trägt. Auch, wie der Herr Dobrindt und der Herr Söder mit Griechenland umgehen, ist eine Art und Weise, die ich überhaupt nicht akzeptieren kann.
Warum gerade die Flüchtlingspolitik?
Eberle: Ich bin zum Kabarett gekommen, weil mich die 68er-Zeit ziemlich geprägt hat, die Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Joschka Fischer hat mal gesagt, er sei in die Politik gegangen wegen Auschwitz. Und einen ähnlichen Satz könnte ich für mich auch unterschreiben: Dass ich dadurch politisch geworden bin. Weil mich die Verdrängung der NS-Zeit narrisch gemacht hat. Und Flüchtlingspolitik deswegen, weil ich, wenn ich damals gelebt hätte, zumindest einer der inneren Immigranten geworden wäre, wenn nicht sogar in ein anderes Land hätte gehen müssen und froh gewesen wäre, wenn ich im Ausland Asyl bekommen hätte. Ich bin der Meinung, dass man jedem Menschen, der verfolgt wird und in Not ist, Asyl gewähren muss. Wir leben in so einem wahnsinnig reichen Land, dass es einfach reichen muss, soundsoviel Leuten eine menschenwürdige Existenz zu geben. Der Seehofer stellt sich am Parteitag hin und sagt, solange er Ministerpräsident ist, wird Bayern immer christlich bleiben. Toll! Dann aber bitte auch umsetzen und schauen, dass die Leute, die zu uns kommen, menschenwürdig untergebracht werden. Dass es nicht gut gehen kann, wenn man hundert Leute in ein Dorf im Bayerischen Wald mit 30 Einwohnern steckt, ist doch klar. So etwas macht mich einfach wütend.
1979 haben Sie Die Grünen in Pfaffenhofen mitbegründet, davor schon eine Anti-AKW-Gruppe. In der Folge waren Sie 20 Jahre, bis 2003, Mitglied der SPD. Warum haben Sie Ihr Parteibuch zurückgegeben?
Eberle: Ich bin damals zur SPD gegangen, weil ich in Pfaffenhofen Kommunalpolitik machen wollte, hab aber auch zu der Zeit immer grün gewählt. Wir waren damals ziemlich stark als Jusos, ich war auch immer auf der Stadtratsliste gestanden und es war ein paar Mal auch so richtig knapp, dass ich reingekommen wäre. Die Grünen zu der Zeit, so diese Dinkel-Freunde und Mondanbeter, das war mir damals einfach „too much“. Und irgendwann ist der Umweltgedanke, der mir eigentlich immer am wichtigsten war, auch in die SPD eingezogen. Ich war aber bald eine Karteileiche. Letztlich bin ich wegen Ludwig Stiegler ausgetreten, der sich im Fernsehen mal so unsäglich gegen die Hamm-Brücher aufgeführt hat.
In einem Monolog beim letzten Starkbierprogramm haben Sie böse über Vetternwirtschaft und Filz im Namen der CSU hergewettert, ein – Zitat – „System, das sich 50 Jahre lang Bayern genommen hat wie eine Krake.“ Sind Sie wegen solcher Breitseiten schon mal ernsthaft angeeckt oder haben sich sogar entschuldigen müssen?
Eberle: Nein, ich würd’ mich dafür auch nicht entschuldigen. Ich agitiere nicht, ich versuche sachgemäß auf etwas zu reagieren. Ich würde jetzt nie jemanden beleidigen, überspitze natürlich manches, aber das mit der Krake kann man glaube ich durchaus so sagen, weil in Bayern lange die Vetternwirtschaft geherrscht hat, und das weiß man wirklich schon seit vielen Jahren, dass Karrieren über’s Parteibuch gelaufen sind. Höchstens, dass mal jemand gesagt hat „Du traust Dir was!“ Aber ich glaube nicht, dass ich mir was traue, weil es blüht mir ja auch nix.
Gibt es Tabus?
Eberle: Ich würde zum Beispiel nie auf etwas Persönliches eingehen. Wo sich ganz viele Kabarettisten drauf gestürzt haben, war das uneheliche Kind Seehofers. Würd ich nie machen. Ein Ausrutscher kann jedem mal passieren, das ist seine Privatsache und mir wurscht. Ob jemand schwul oder lesbisch ist – das geht mich nichts an.
Religion?
Eberle: Ich bin selbst ein religiöser Mensch. Und Respekt vor jemandes Glauben gehört für mich zum Elementaren. Auch wenn er zum genau gegenteiligen Ergebnis kommt und Atheist ist. Da will ich auch keinem was vorschreiben. Aber ich will mein Leben so denken und so leben, wie ich will und das muss ich auch jedem anderen zugestehen. Wo man sich dagegen drüber aufregen kann, ist, wie sich die katholische Kirche beispielsweise manchmal geriert. Dass Homosexualität Sünde ist etwa. Oder dass ich mich mit dem Papst als politische Figur auseinandersetze.
Auf Ihrer Facebook-Seite findet sich Stadtpfarrer Frank Faulhaber in der Freundesliste.
Eberle: Weil ich ihn sehr schätze. Ich habe schon sehr oft erlebt, welch menschliche Größe dieser Mann hat, unabhängig von seinem Glauben. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr war ich sehr streng katholisch, dann hing ich gedanklich mehr dem 68er-Geist nach. Bis ich 50 wurde und zufällig in München an St. Michael in der Neuhauser Straße vorbei gekommen bin und mir gedacht habe, jetzt schaust mal rein, und eine Spitzenpredigt gehört habe. Am nächsten Sonntag bin ich dann wieder hin, da wurde die Cäcilienmesse von Gounod gespielt – und wieder eine Spitzenpredigt. Das hat in meinem Kopf irgendetwas repariert. Und seit vier Jahren gehe ich da jetzt jeden Sonntag um 9 Uhr hin. Meine christlichen Grundwerte haben sich auch nie geändert als ich Atheist war, später dann Existenzialist. Aber ich glaube, wie Habermas schon sagt, unsere Gesellschaft wird’s ohne Religion nicht packen, ohne etwas, an dem man sich aufrichten kann. Jeder hat einen religiösen Impetus, und wenn er das verschwitzte Trikot vom Schweinsteiger anbetet.
Stichwort Existenzialist: Neben Schriftstellern wie Böll und Tucholsky verehren Sie den Philosophen Albert Camus. Was würde jener dem Protagonisten der Venusfalle raten?
Eberle: Der würde wahrscheinlich sagen: Man muss das machen, was man machen muss! Man muss vermutlich wie Sisyphus den Stein immer wieder nach oben rollen und sich mit der Absurdität des Lebens abfinden. Er würde vielleicht auch sagen, dass das, wonach man im Leben suchen soll, nicht das vordergründige Glück ist, sondern, wie Aristoteles sagt, den Zustand der Glücksseligkeit. Wo deine innere Bestimmung hingeht, dein inneres Müssen.
Wo lag die kabarettistische Initialzündung?
Eberle: Ich hab irgendwann als ganz kleines Kind in den 60er Jahren „Schimpf vor 12“ gesehen und hab’s natürlich nicht begriffen, aber ich habe gemerkt, dass dieser Hildebrandt etwas ganz Außergewöhnliches gemacht hat, das mich gedanklich mein Leben lang auch nie mehr verlassen hat. Da habe ich mir gedacht, dass ich so etwas auch irgendwann machen will.
Klassenclown – oder mehr Rebell?
Eberle: Zu einer bestimmten Zeit mehr der Rebell.
Die Stachelbären bestehen seit nunmehr 30 Jahren. Ist ein Ende absehbar?
Eberle: Überhaupt nicht. Weder als Ensemble zu fünft, wobei das mittlerweile mehr eine lokale Sache ist, noch als Duo oder neuerdings als Trio. Demnächst spielen wir sogar zu viert.
Ihre Pfaffenhofen-Premiere am Samstag findet im Rahmen des Kabarettherbstes statt, dessen Mitinitiator Sie sind. Wie kam dieses neue Format zustande?
Eberle: Die Idee hatte eigentlich Angela Bassani (Anmerkung der Redaktion: Veranstaltungsorganisatorin aus Neuwied/ München, zuletzt mit dem „Satirefassl“ im Stockerhof zu Gast). Weil sie gesagt hat: „Ihr macht’s was, ich mach was, der Michael Herrmann im intakt macht was – schmeiß ma’s doch ‘zam!“ Ganz einfach.
Ihre unvergleichliche Mimik, Ihre Grimassen sind Ihr Markenzeichen. Mit Verlaub: Sie haben einen Charakterkopf. Lag da niemals der Gang ans Theater oder vor die Kamera nahe?
Eberle: Nein. Obwohl der Zimmerschied schon 1989 zu mir gesagt hat: „Du host an Charakterkopf. Woaßt des überhaupt“ Dann habe ich gesagt: Naa!“ Ich weiß meistens gar nicht, wie ich schaue. Und auf Videos gefalle ich mir meistens eh nicht. Aber auf der Bühne bin ich ein ganz anderer Mensch und was dabei herauskommt ist eine persönliche Ausdrucksform, die ich auch nicht vor dem Spiegel trainiere. Aber Schauspiel – nein.
Von Christian Köpf